Freitag, 8. Februar 2013

Der erste Schock in der Gefängniszelle


Der erste Schock in der Gefängniszelle

Hermann 1962
Der Name Semipalatinsk (sieben Gemächer) stammt von den sieben buddhistischen Tempeln der Kalmyken, die wohl vor 1616 errichtet wurden. Gerhard Friedrich Müller (1705-1783) entdeckte 1734 auf dem Ostufer des Irtysch halbzerstörte sieben Gemächer dieser Tempel. Daran dachte ich unterwegs ins Gefängnis, um mich abzulenken. Mir kam schnell auch die Geschichte des Gefängnisses in Erinnerung. In den vielen Stunden meines Aufenthaltes in der Stadtbibliothek suchte ich Spuren von Mennoniten, die anfangs des 20. Jahrhunderts entweder hier wohnten oder verbannt wurden. Denn im Ausweis meiner Mutter wurde der Geburtsort Semipalatinsk verzeichnet, obwohl sie behauptete, in der Halbstadt bei Pawlodar geboren worden zu sein. Unsere Mütter brachten vieles Durcheinander, was Ortschaften angeht. Die Namen aller ihrer Lebensstationen verwechselten sie oft. In meinen Recherchen stieß ich auf die Geschichte des Gefängnisses von Semipalatinsk.





Wappen von Semipalatinsk während Sowjetzeiten
http://de.wikipedia.org/wiki/Semei

Das Gefängnis wurde erbaut im Jahre 1773 zur Zeit der Herrschaft der Katharina der II. Zu meiner Zeit wurde es als ein architektonisches Denkmal bezeichnet. Meines Wissens befand es sich etwa drei Kilometer vom Zentrum entfernt. Hinter den Mauern dieses Gefängnisses saßen auch die berühmten kasachischen Schriftsteller und Politiker Mir Yakup Dulatov (geb. 1885, verstarb im Lager Solowki 1935) und Achmet Baitursynov (geb. 1872, erschossen am 8. Dezember 1937). Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski  trat im Jahre 1854 seine Militärpflicht im Rahmen seiner Verbannung 1854–1859 in Semipalatinsk an. Nach seiner Ankunft wurde er vorübergehend auch in dieses Gefängnis gesteckt. „Ich befinde mich in guter Gesellschaft“, schmunzelte ich. Ich muss wohl es halblaut gesagt haben, weil der mich begleitende Offizier laut sagte: „Das Schmunzeln wird dir dort vergehen.“ Ich zuckte wie immer die Schulter und schwieg.

Als ich die Zelle betrat, wurde ich begrüßt: „Willkommen baptistischer Prediger!“ Ich war total überrascht: „Woher wisst ihr, dass ich Christ bin?“ „Die Aufseher teilten es uns mit.
Übrigens hast Du deine Anklageschrift dabei?“ Sie war in meiner Hand. Ich reichte sie ihnen. „Ein baptistischer Prediger“, dachte ich nach: „Wie kommen sie nur auf solche Gedanken?“ Es gab exzellente Prediger unter den russischen Christen, aber ich mit meinen zwanzig hatte nie die Gelegenheit, ein Bibelstudium zu absolvieren. Ich sah mich eher als einen lausigen Zeugen Jesu Christi.

„Ich möchte schlafen“, sagte ich und schaute mich um. Es gab genau sieben Schlafplätze, in der Zelle waren zwölf Personen. „Die Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt“, sagte einmal Olgas Vater. „Kein Problem, junger Mann“, sagte ein Aksakal (weißer Bart), ein alter Kasache mit einem ergrauten Bart: „Du kannst hier neben mir schlafen.“

Ich hatte vorhin vom Aufseher eine Decke, ein Stück Seife und Handtuch bekommen. Die Insassen warteten alle auf ihre Gerichtsverhandlung, deshalb wurden ihre Köpfe und Bärte noch nicht abrasiert. Ich sah mich um, guckte auf die Wände und Decke. Es waren interessante Texte von „Mama, ich liebe dich“ bis zu „wurde zu lebenslänglicher Strafe verdonnert“. „Hm, habt ihr das alles gelesen“, fragte ich die Zellenkameraden. Sie schüttelten verneinend den Kopf.

Ich legte mich auf die Bretter und schloss die Augen. Nun standen vor meinen Augen die christlichen Jugendtreffs, die wir in Sibirien veranstalteten. Wir suchte uns eine Wiese im dichten Wald, stellten Wachposten mit Abstand von zehn Metern auf, die uns vorwarnen sollten, wenn die sowjetischen Milizen irgendwo in der Nähe wären und auf uns lauerten. Man war sich nie sicher, ob unter uns nicht doch einer wäre , der die kommunistischen Behörden über unsere Aktivitäten informiert. Falls sie ankamen, zerstreuten wir uns im Wald und sammelten Pilze oder Waldbeeren, die es reichlich im Sommer gab.

Die Miliz konnte uns zu meiner Zeit niemals überraschen. Das machte sie rasend. Wir mussten eines Tages wahrnehmen, dass es unter uns Spitzel gab. Meistens wussten wir auch, wer es war und gaben der Person die „verantwortlichsten Aufgaben“. Sie mussten uns für die Treffs im Sommer den Wald aussuchen und  Wiesen inspizieren. Wir trafen uns jedoch ganz an anderen Orten. In der Tat, es war unfair, aber wir erklärten der Person, dass es notwendig gewesen war, nach Alternativmöglichkeiten Ausschau zu halten. Es gab für die Treffs ein gutes Programm: Man bot Leiterschulungen an, Bibelarbeiten über aktuelle Themen und man hat sehr viel Lobpreislieder gesungen. Mit diesen Erinnerungen schlief ich ein.


Aus unbekanntes Kasachstan Web
Ich wurde morgens zum Frühstück geweckt. Es gab Grießbrei, Brot und Tee. Ich betete und begann zu essen. Alle Augen waren auf mich gerichtet. „Betest Du oft am Tag“, fragte der Aksakal. „Gedanklich sehr oft, ansonsten kommt es auf die jeweilige Situation drauf an“. „Oh, wir Moslems müssen fünfmal am Tag beten“. „Interessant. Tust Du es auch?“ „Nee“, antwortete der alte Mann: „Allah hört auf mich sowieso nicht. Ich bin ein Dieb, betrüge den Staat und versorge auf diese Weise meine achtköpfige Familie“. Er sah mein lächelndes Gesicht an: „Du lachst. Du bist noch jung. Den Staat betrügen ist eine Tugend, man darf nur nicht Menschen beklauen“.

Ich lernte in diesen wenigen Tagen eine Menge “Lektionen“. Es gab auch Häftlinge, die unbedingt wissen wollten, ob wir tatsächlich Kinder opfern würden, wie die kommunistische Presse berichtete. Andere wieder wollten von unserer christlichen Tätigkeit erfahren. Ich war kein aktiver Mitarbeiter in den Freikirchen der Stadt Semipalatinsk und sagte ihnen nur, dass ich einzig Gottesdienste besuchte, viel Bücher in der Bibliothek las, mein Unterhalt verdiente und sonst war ich ein passiver Christ.

Ein junger Häftling, wie ich, setzte sich neben mir und begann, mich auszufragen über Jugend- und Bibelabende. Es waren professionell gestellte Fragen, die mich aufhören ließen. Ich guckte ihm tief in die Augen und sagte: „Was hat man dir für das Ausspähen angeboten? Strafminderung? Ich interessiere mich doch auch nicht, ob Du ein verhasster Taschendieb oder Hooligan bist, oder? Willst Du etwas aus meinem Glaubensleben erfahren? Darüber gebe ich dir gern Auskunft. Andere Informationen bekommst Du von mir nicht“.

Er sah sehr verlegen aus, als er aufstehen und den Platz wechseln wollte. „Du bist ein Spitzel?“ Die Stimme des Aksakals war ohrenbetäubend, sie schrie förmlich nach Rache. Sein Körper bebte , die Stimme klang mehr als bedrohlich. Der alte Kasache war wohl das fünfte Mal im Gefängnis und kannte die ungeschriebenen Regeln, die es unter Insassen gab: Ein Spitzel wurde meistens hingerichtet. Die Kriminellen übten brutale und kompromisslose Selbstjustiz aus. Davon hörte ich bereits in Omsk. Wir hatten in der Stadt mehrere Straflager. Einige unserer Kirchenmitglieder arbeiteten als Wärter im Gefängnis. Sie machten uns mit den ungeschriebenen Gesetzen der Häftlinge vertraut. Nach dem lauten Schrei des Kasachen öffnete sich die Zellentür und der junge Mann entfloh: Er wurde von Aufsehern weggeführt.
Aus unbekanntes Kasachstan Web

„Warum tun Menschen das?“, fragte ein Insasse. „Was meinst Du?“ „Ja, die Spitzelarbeit!“ Ich erinnerte mich an die Aussage des Aristoteles und erklärte: „Es gab einen griechischen Philosophen und dieser sagte: Die meisten Menschen wollen das Sittlich-Schöne, ziehen aber für sich das Vorteilhafte vor. Es ist etwas Schönes, jemanden Gutes zu tun, ohne den Gedanken an Wiedervergeltung, aber etwas Gutes sich antun zu lassen, ist vorteilhaft. Der junge Mann wurde engagiert, uns auszuspionieren. Er sucht das Vorteilhafte für sich. Das muss man verstehen können, aber nicht gutheißen. Nur sollte man einen Spitzel nie töten. Es zu wissen, wer Spionage betreibt, ist gut, dann kann man entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und bedächtig  und besonnen mit Worten umgehen“. Der Aksakal nahm mich in die Arme und sagte: „So jung und schon so viel Wissen! Gut gesprochen junger Mann“.

Wir wurden Freunde.

Im Mai 2009 versuchten zwei lesbische
Frauen offiziell zu heiraten. Wikipedia
Mich verwunderte es sehr, dass ein Mann unter unseren Pritschen schlief. Er hatte eine Schüssel aus Aluminium wie wir alle, aber am oberen Rand war ein Loch. Ich wurde neugierig: „Sagt mal Leute, warum schläft der Mann unter den Pritschen? Wir könnten doch auch für ihn Platz machen.“ Die Zellengenossen fragten verblüfft: „Siehst du denn nicht, dass er ein Päderast ist?“ „Was heißt Päderast“, fragte ich doch eher heuchlerisch. Wer von uns hörte damals von diesem Begriff nicht? „Er bevorzugt, dass man mit ihm Analverkehr treibt“, erklärte der Aksakal. „Entschuldigung, aber ich verstehe nicht, was ist Analverkehr.“
Ich hatte wirklich keine Ahnung, aber ich hätte es lieber nicht sagen sollen. Ein Zellengenosse stand auf und sagte zu den anderen: „Ihr hält Wache. Ich will es dem jungen Mann vordemonstrieren.“ Der betroffene Mann nahm schon die Hose runter und stellte sich in die jeweilige Pose stützend auf die Kante der Pritsche. Ich erschrak und verkroch mich in die Ecke. Der andere Häftling übte Verkehr von hinten. Ich empfand es derart erniedrigend, dass ich losschrie: „Hört, bitte, auf! Es ist doch zum Kotzen!“ Der sogenannte Päderast guckte mich erstaunt an und sagte: „Es geht mir gut. Ich genieße  es.“ Ich lief zum Kübel und musste mich übergeben. Alle lachten laut los. Ich dagegen war innerlich verletzt. Ich hätte mich vor Scham unter der Pritsche verkriechen können.

Ein Häftling setzte sich neben mir und stellte sich als Biologe vor. „Hast du nie Geschlechtsverkehr praktiziert“, fragte er. Ich hatte mein Gesicht in beide Hände vergraben und schüttelte den Kopf. „Du bist Christ und die Bibel sieht diese Art von Sexualität als widernatürlich, aber zurzeit des Apostels Paulus erfreute sich Analverkehr höchster Beliebtheit. Paulus mit seinem ethischen Ansatz schwamm gegen den Zeitgeist, ob es immer richtig war?“ Ich hielt es nicht aus: „Bitte, sagen Sie nichts mehr. Ich möchte es nicht hören. Dieser Exhibitionismus ist doch widerlich!“

Nachhinein muss ich sagen, dass ich derart von der jeweiligen „Aktion“ geschockt war, dass sie eine tiefe seelische Narbe in mir hinterließ. Seit diesem Ereignis musste ich viel über das homosexuelle Verhalten nachdenken. Mir schien es bei der jeweiligen Handlung, dass es den Männern einzig um die Lustbefriedigung ging. Anhand meinen Studien bis dato war ein Päderast kein Homosexueller, sondern ein Pädophiler.  Ich erinnerte mich irgendwo den Begriff gehört oder in einem der Bücher über die Päderastie im alten Griechentum gelesen zu haben.

Ich hatte tatsächlich noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt, aber, was ich hier sah, war meiner Meinung nach exhibitionistisch und abartig. Sexualität war in meiner Überzeugung ein Geschenk Gottes, die in einer Verbindung zwischen Mann und Frau gelebt wird. Aber Analverkehr? Ich konnte mich nicht mit dieser Art von Sexualität anfreunden.
Ein Zellengenosse konfrontierte mich mit der Frage, warum ich so denken und empfinden würde. Mein erstes Argument war: „Es wird bei diesem Verkehr auf widernatürliche Weise die falsche Körperöffnung genutzt. Der Dickdarm ist der letzte Teil des Verdauungstraktes und nicht geeignet für Geschlechtsverkehr“, sagte ich dem Häftling. „Was ich hier gesehen habe, ist doch anatomisch falsch. Der After ist die Austrittsöffnung des Darmes und kein Körper-Eingang.  Durch den After verlässt der Kot den Darm. Ihr setzt euch auf den Kübel, scheidet euren Kot aus, putzt den Hintern mit ein Stück Zeitungspapier, und nun steckt ihr euer Glied in diesen Kot“, sagte ich empört. Alle hörten zu und ekelten sich sichtlich. Sie schwiegen betreten.

http://www.kgb-gefaengnis.de/14-0-Bildergalerie.html
Man führte sowjetische Häftlinge morgens und abends in die öffentliche Toilette, aber bei Notdurft gab es in jeder Zelle ein Kübel. „ich weiß“, fuhr ich fort: „ihr könnt euch nicht enthalten, weil der sexuelle Trieb so stark ist. Ich sehe ja, wie ihr am Kübel euch befriedigt. Die Hand ist aber auch kein Geschlechtsteil der Frau. Eure Selbstbefriedigung führt höchstens zu einer seelischen Leere und zu Minderwertigkeitskomplexen, sie befriedigt euch letztlich gar nicht. Seid doch mindestens ehrlich mit euch selbst“.

In etwa zehn Minuten nach dem jeweiligen Ereignis öffnete sich die Tür der Zelle und ein Offizier befahl: „Päderast, mitkommen!“ Der Mann stand auf, nahm ruhig seine Schüssel und den Löffel und ging mit. In zwei Stunden war der Offizier wieder an der Tür. Er zeigte mit dem Finger auf die Person, die uns Analverkehr vordemonstriert e: „Kommen sie mit.“ Die Tür wurde wieder geschlossen. In der Zelle herrschte zuerst eine Totstille. Dann sagte jemand leise: „Geschlechtsverkehr zwischen Männern wird laut dem sowjetischen Strafgesetzbuch bis zu fünf oder acht Jahren Freiheitsentzug geahndet. Zudem werden homosexuelle Personen anstelle von Gefängnisstrafen oft und auf unbestimmte Zeit in psychiatrischen Kliniken untergebracht und zu einer medizinischen und psychotherapeutischen Behandlung gezwungen.“

Ich wollte nichts mehr hören, legte mich hin und zog die Decke über den Kopf. Ich konnte meine Tränen nicht halten. Sexualität war für mich heilig, um gemäß dem Hohelied Freude an ihr zu empfinden und die Fortpflanzung zu sichern. Sicher haben wir Studierende in der Vergangenheit über die Sexualität ausführlich diskutiert, aber was ich nun erlebte, empfand ich als eine Pervertierung des Lustempfindens. Wohl bemerkt, ich war derzeit zwanzig Jahre alt.

Ich erzählte den Zellengenossen: „Noch als Teenager sahen mein Onkel Gustav und ich, wie ein Mann es mit einem sibirischen Pony getrieben hatte. Mein Onkel war für den Pferdestall der Kollektivwirtschaft zuständig und machte sich mit der Gabel hinter den Mann her. Dieser lief davon und versteckte sich im Wald und schämte sich, zurück zu seiner Familie und Frau zu kehren. Mein Onkel sagte damals zu mir: „Erzähl es niemand. Er hat vier Kinder. In unserem Land wird Sodomie mit Freiheitsentzug geahndet. Schade, wenn seine Kinder darunter leiden müssten. Ich spreche aber mit seiner Frau.“ Mein kluger Onkel sprach lange mit der Frau des Täters und bewegte sie, ihren Mann aufzusuchen. Sie muss ihn gefunden, gesprochen und alles mit ihm geklärt haben, weil die Familie erhalten blieb und in späteren Zeiten Christen wurden. Die Pflicht des Onkels wäre gewesen, den Mann anzuzeigen, aber seine christliche Nächstenliebe und die Empfindung der Barmherzigkeit überwogen, wie er mir erklärte. Ich schwieg wie ein Fisch“, mit diesem Satz schloss ich den Bericht ab. Ich sah auf die Häftlinge. Sie waren sehr nachdenklich und reagierten nicht.

Die darauf folgende Nacht schlief ich sehr unruhig. Ich schlief kurz ein, wurde von Albträumen geplagt und wachte wieder auf. Mein Hirn spielte verrückt. Ich dachte und dachte über alles nach und fand keine Antworten. Dient Sexualität nur, um Lustgewinn zu erzielen, war die primäre Frage. Meine Beobachtungen zeigten, dass die zwanghafte Selbstbefriedigung unter Studierenden zum Kontrollverlust, Machtlosigkeit und Besessenheit von der Sucht führte. Ein Studierender wurde deswegen von unserer Lehranstalt in die Psychiatrie eingewiesen. Auch der erotische Fetischismus kam unter Studierenden vor. Man entdeckte eines Tages bei einem jungen Mann einen Büstenhalter, den er für Stimulation bei Selbstbefriedigung nutzte. Er wurde ohne Widerrede exmatrikuliert. Unsere kommunistischen Pädagogen sahen in solchen Handlungen starke psychische Störungen. Sie kamen ins „Irrenhaus“, wie damals unter uns die Nervenanstalten genannt wurden.

Die exhibitionistische Handlung der beiden Zellengenossen war ekelhaft für mich. Noch nie erlebte ich so was. Ich kam mehr oder minder aus einer geschützten Umwelt und fand in der klassischen Literatur niemals Berichte über solche Handlungen. Man kann doch alles relativieren und dann ist Sexualität doch nur eine Wegwerfware, resümierte ich.
Da in der Zelle die ganze Nacht das Licht brennt, stand ich gegen morgens auf und ging zum Eimer mit Wasser, füllte meinen Aluminiumbecher und wusch mein Gesicht. Der Tag verlief ruhig. In der Ecke wurden Karten gespielt, was strickt verboten war. Häftlinge spielten, um Gewinne zu erzielen, und wer nicht zahlen konnte, wurde vergewaltigt.  Die Administration wollte diese Brutalität vorbeugen und verbot solche und ähnliche Spiele. Währenddessen unterhielt ich mich mit dem alten Kasachen, der viel von meiner Glaubenserfahrung wissen wollte. Er verwendete zwar den Begriff „Allah“, aber wohl eher als Fremdwort.