Der erste Schock in der Gefängniszelle
Hermann 1962 |
Der Name Semipalatinsk (sieben Gemächer) stammt
von den sieben buddhistischen Tempeln der Kalmyken, die wohl vor 1616 errichtet
wurden. Gerhard Friedrich Müller (1705-1783) entdeckte 1734 auf dem Ostufer des
Irtysch halbzerstörte sieben Gemächer dieser Tempel. Daran dachte ich unterwegs
ins Gefängnis, um mich abzulenken. Mir kam schnell auch die Geschichte des
Gefängnisses in Erinnerung. In den vielen Stunden meines Aufenthaltes in der
Stadtbibliothek suchte ich Spuren von Mennoniten, die anfangs des 20.
Jahrhunderts entweder hier wohnten oder verbannt wurden. Denn im Ausweis meiner
Mutter wurde der Geburtsort Semipalatinsk verzeichnet, obwohl sie behauptete,
in der Halbstadt bei Pawlodar geboren worden zu sein. Unsere Mütter brachten
vieles Durcheinander, was Ortschaften angeht. Die Namen aller ihrer
Lebensstationen verwechselten sie oft. In meinen Recherchen stieß ich auf die
Geschichte des Gefängnisses von Semipalatinsk.
Wappen von Semipalatinsk während Sowjetzeiten http://de.wikipedia.org/wiki/Semei |
Das Gefängnis wurde erbaut im Jahre 1773 zur
Zeit der Herrschaft der Katharina der II. Zu meiner Zeit wurde es als ein
architektonisches Denkmal bezeichnet. Meines Wissens befand es sich etwa drei
Kilometer vom Zentrum entfernt. Hinter den Mauern dieses Gefängnisses saßen
auch die berühmten kasachischen Schriftsteller und Politiker Mir Yakup Dulatov
(geb. 1885, verstarb im Lager Solowki 1935) und Achmet Baitursynov (geb. 1872,
erschossen am 8. Dezember 1937). Der russische Schriftsteller Fjodor
Dostojewski trat im Jahre 1854 seine
Militärpflicht im Rahmen seiner Verbannung 1854–1859 in Semipalatinsk an. Nach
seiner Ankunft wurde er vorübergehend auch in dieses Gefängnis gesteckt. „Ich
befinde mich in guter Gesellschaft“, schmunzelte ich. Ich muss wohl es halblaut
gesagt haben, weil der mich begleitende Offizier laut sagte: „Das Schmunzeln
wird dir dort vergehen.“ Ich zuckte wie immer die Schulter und schwieg.
Als ich die Zelle betrat, wurde ich begrüßt:
„Willkommen baptistischer Prediger!“ Ich war total überrascht: „Woher wisst
ihr, dass ich Christ bin?“ „Die Aufseher teilten es uns mit.
Übrigens hast Du deine
Anklageschrift dabei?“ Sie war in meiner Hand. Ich reichte sie ihnen. „Ein
baptistischer Prediger“, dachte ich nach: „Wie kommen sie nur auf solche
Gedanken?“ Es gab exzellente Prediger unter den russischen Christen, aber ich
mit meinen zwanzig hatte nie die Gelegenheit, ein Bibelstudium zu absolvieren.
Ich sah mich eher als einen lausigen Zeugen Jesu Christi.
„Ich möchte schlafen“, sagte ich und schaute
mich um. Es gab genau sieben Schlafplätze, in der Zelle waren zwölf Personen.
„Die Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt“, sagte einmal Olgas Vater. „Kein
Problem, junger Mann“, sagte ein Aksakal (weißer Bart), ein alter Kasache mit
einem ergrauten Bart: „Du kannst hier neben mir schlafen.“
Ich
hatte vorhin vom Aufseher eine Decke, ein Stück Seife und Handtuch bekommen.
Die Insassen warteten alle auf ihre Gerichtsverhandlung, deshalb wurden ihre
Köpfe und Bärte noch nicht abrasiert. Ich sah mich um, guckte auf die Wände und
Decke. Es waren interessante Texte von „Mama, ich liebe dich“ bis zu „wurde zu
lebenslänglicher Strafe verdonnert“. „Hm, habt ihr das alles gelesen“, fragte
ich die Zellenkameraden. Sie schüttelten verneinend den Kopf.
Ich legte mich auf die Bretter und schloss die
Augen. Nun standen vor meinen Augen die christlichen Jugendtreffs, die wir in
Sibirien veranstalteten. Wir suchte uns eine Wiese im dichten Wald, stellten
Wachposten mit Abstand von zehn Metern auf, die uns vorwarnen sollten, wenn die
sowjetischen Milizen irgendwo in der Nähe wären und auf uns lauerten. Man war
sich nie sicher, ob unter uns nicht doch einer wäre , der die kommunistischen
Behörden über unsere Aktivitäten informiert. Falls sie ankamen, zerstreuten wir
uns im Wald und sammelten Pilze oder Waldbeeren, die es reichlich im Sommer
gab.
Die Miliz konnte uns zu meiner Zeit niemals
überraschen. Das machte sie rasend. Wir mussten eines Tages wahrnehmen, dass es
unter uns Spitzel gab. Meistens wussten wir auch, wer es war und gaben der
Person die „verantwortlichsten Aufgaben“. Sie mussten uns für die Treffs im
Sommer den Wald aussuchen und Wiesen
inspizieren. Wir trafen uns jedoch ganz an anderen Orten. In der Tat, es war
unfair, aber wir erklärten der Person, dass es notwendig gewesen war, nach
Alternativmöglichkeiten Ausschau zu halten. Es gab für die Treffs ein gutes
Programm: Man bot Leiterschulungen an, Bibelarbeiten über aktuelle Themen und
man hat sehr viel Lobpreislieder gesungen. Mit diesen Erinnerungen schlief ich
ein.
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Ich
wurde morgens zum Frühstück geweckt. Es gab Grießbrei, Brot und Tee. Ich betete
und begann zu essen. Alle Augen waren auf mich gerichtet. „Betest Du oft am
Tag“, fragte der Aksakal. „Gedanklich sehr oft, ansonsten kommt es auf die
jeweilige Situation drauf an“. „Oh, wir Moslems müssen fünfmal am Tag beten“.
„Interessant. Tust Du es auch?“ „Nee“, antwortete der alte Mann: „Allah hört
auf mich sowieso nicht. Ich bin ein Dieb, betrüge den Staat und versorge auf
diese Weise meine achtköpfige Familie“. Er sah mein lächelndes Gesicht an: „Du
lachst. Du bist noch jung. Den Staat betrügen ist eine Tugend, man darf nur
nicht Menschen beklauen“.
Ich lernte in diesen wenigen Tagen eine Menge
“Lektionen“. Es gab auch Häftlinge, die unbedingt wissen wollten, ob wir
tatsächlich Kinder opfern würden, wie die kommunistische Presse berichtete.
Andere wieder wollten von unserer christlichen Tätigkeit erfahren. Ich war kein
aktiver Mitarbeiter in den Freikirchen der Stadt Semipalatinsk und sagte ihnen
nur, dass ich einzig Gottesdienste besuchte, viel Bücher in der Bibliothek las,
mein Unterhalt verdiente und sonst war ich ein passiver Christ.
Ein junger Häftling, wie ich, setzte sich neben
mir und begann, mich auszufragen über Jugend- und Bibelabende. Es waren
professionell gestellte Fragen, die mich aufhören ließen. Ich guckte ihm tief
in die Augen und sagte: „Was hat man dir für das Ausspähen angeboten?
Strafminderung? Ich interessiere mich doch auch nicht, ob Du ein verhasster
Taschendieb oder Hooligan bist, oder? Willst Du etwas aus meinem Glaubensleben
erfahren? Darüber gebe ich dir gern Auskunft. Andere Informationen bekommst Du
von mir nicht“.
Er sah sehr verlegen aus, als er aufstehen und
den Platz wechseln wollte. „Du bist ein Spitzel?“ Die Stimme des Aksakals war
ohrenbetäubend, sie schrie förmlich nach Rache. Sein Körper bebte , die Stimme
klang mehr als bedrohlich. Der alte Kasache war wohl das fünfte Mal im
Gefängnis und kannte die ungeschriebenen Regeln, die es unter Insassen gab: Ein
Spitzel wurde meistens hingerichtet. Die Kriminellen übten brutale und
kompromisslose Selbstjustiz aus. Davon hörte ich bereits in Omsk. Wir hatten in
der Stadt mehrere Straflager. Einige unserer Kirchenmitglieder arbeiteten als
Wärter im Gefängnis. Sie machten uns mit den ungeschriebenen Gesetzen der
Häftlinge vertraut. Nach dem lauten Schrei des Kasachen öffnete sich die
Zellentür und der junge Mann entfloh: Er wurde von Aufsehern weggeführt.
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„Warum tun Menschen das?“, fragte ein Insasse.
„Was meinst Du?“ „Ja, die Spitzelarbeit!“ Ich erinnerte mich an die Aussage des
Aristoteles und erklärte: „Es gab einen griechischen Philosophen und dieser
sagte: Die meisten Menschen wollen das Sittlich-Schöne, ziehen aber für sich
das Vorteilhafte vor. Es ist etwas Schönes, jemanden Gutes zu tun, ohne den
Gedanken an Wiedervergeltung, aber etwas Gutes sich antun zu lassen, ist
vorteilhaft. Der junge Mann wurde engagiert, uns auszuspionieren. Er sucht das
Vorteilhafte für sich. Das muss man verstehen können, aber nicht gutheißen. Nur
sollte man einen Spitzel nie töten. Es zu wissen, wer Spionage betreibt, ist
gut, dann kann man entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und
bedächtig und besonnen mit Worten
umgehen“. Der Aksakal nahm mich in die Arme und sagte: „So jung und schon so
viel Wissen! Gut gesprochen junger Mann“.
Wir wurden Freunde.
Im Mai 2009 versuchten zwei lesbische Frauen offiziell zu heiraten. Wikipedia |
Mich verwunderte es sehr, dass ein Mann unter
unseren Pritschen schlief. Er hatte eine Schüssel aus Aluminium wie wir alle,
aber am oberen Rand war ein Loch. Ich wurde neugierig: „Sagt mal Leute, warum
schläft der Mann unter den Pritschen? Wir könnten doch auch für ihn Platz
machen.“ Die Zellengenossen fragten verblüfft: „Siehst du denn nicht, dass er
ein Päderast ist?“ „Was heißt Päderast“, fragte ich doch eher heuchlerisch. Wer
von uns hörte damals von diesem Begriff nicht? „Er bevorzugt, dass man mit ihm
Analverkehr treibt“, erklärte der Aksakal. „Entschuldigung, aber ich verstehe
nicht, was ist Analverkehr.“
Ich hatte wirklich keine Ahnung, aber ich hätte
es lieber nicht sagen sollen. Ein Zellengenosse stand auf und sagte zu den
anderen: „Ihr hält Wache. Ich will es dem jungen Mann vordemonstrieren.“ Der
betroffene Mann nahm schon die Hose runter und stellte sich in die jeweilige
Pose stützend auf die Kante der Pritsche. Ich erschrak und verkroch mich in die
Ecke. Der andere Häftling übte Verkehr von hinten. Ich empfand es derart
erniedrigend, dass ich losschrie: „Hört, bitte, auf! Es ist doch zum Kotzen!“
Der sogenannte Päderast guckte mich erstaunt an und sagte: „Es geht mir gut. Ich
genieße es.“ Ich lief zum Kübel und
musste mich übergeben. Alle lachten laut los. Ich dagegen war innerlich verletzt.
Ich hätte mich vor Scham unter der Pritsche verkriechen können.
Ein Häftling setzte sich neben mir und stellte
sich als Biologe vor. „Hast du nie Geschlechtsverkehr praktiziert“, fragte er.
Ich hatte mein Gesicht in beide Hände vergraben und schüttelte den Kopf. „Du
bist Christ und die Bibel sieht diese Art von Sexualität als widernatürlich,
aber zurzeit des Apostels Paulus erfreute sich Analverkehr höchster Beliebtheit.
Paulus mit seinem ethischen Ansatz schwamm gegen den Zeitgeist, ob es immer
richtig war?“ Ich hielt es nicht aus: „Bitte, sagen Sie nichts mehr. Ich möchte
es nicht hören. Dieser Exhibitionismus ist doch widerlich!“
Nachhinein muss ich sagen, dass ich derart von
der jeweiligen „Aktion“ geschockt war, dass sie eine tiefe seelische Narbe in
mir hinterließ. Seit diesem Ereignis musste ich viel über das homosexuelle
Verhalten nachdenken. Mir schien es bei der jeweiligen Handlung, dass es den
Männern einzig um die Lustbefriedigung ging. Anhand meinen Studien bis dato war
ein Päderast kein Homosexueller, sondern ein Pädophiler. Ich erinnerte mich irgendwo den Begriff
gehört oder in einem der Bücher über die Päderastie im alten Griechentum
gelesen zu haben.
Ich hatte tatsächlich noch keinen
Geschlechtsverkehr gehabt, aber, was ich hier sah, war meiner Meinung nach exhibitionistisch
und abartig. Sexualität war in meiner Überzeugung ein Geschenk Gottes, die in
einer Verbindung zwischen Mann und Frau gelebt wird. Aber Analverkehr? Ich
konnte mich nicht mit dieser Art von Sexualität anfreunden.
Ein Zellengenosse konfrontierte mich mit der
Frage, warum ich so denken und empfinden würde. Mein erstes Argument war: „Es
wird bei diesem Verkehr auf widernatürliche Weise die falsche Körperöffnung
genutzt. Der Dickdarm ist der letzte Teil des Verdauungstraktes und nicht
geeignet für Geschlechtsverkehr“, sagte ich dem Häftling. „Was ich hier gesehen
habe, ist doch anatomisch falsch. Der After ist die Austrittsöffnung des Darmes
und kein Körper-Eingang. Durch den After verlässt der Kot den Darm. Ihr setzt
euch auf den Kübel, scheidet euren Kot aus, putzt den Hintern mit ein Stück
Zeitungspapier, und nun steckt ihr euer Glied in diesen Kot“, sagte ich empört.
Alle hörten zu und ekelten sich sichtlich. Sie schwiegen betreten.
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Man führte sowjetische Häftlinge morgens und
abends in die öffentliche Toilette, aber bei Notdurft gab es in jeder Zelle ein
Kübel. „ich weiß“, fuhr ich fort: „ihr könnt euch nicht enthalten, weil der sexuelle
Trieb so stark ist. Ich sehe ja, wie ihr am Kübel euch befriedigt. Die Hand ist
aber auch kein Geschlechtsteil der Frau. Eure Selbstbefriedigung führt
höchstens zu einer seelischen Leere und zu Minderwertigkeitskomplexen, sie
befriedigt euch letztlich gar nicht. Seid doch mindestens ehrlich mit euch
selbst“.
In etwa zehn Minuten nach dem jeweiligen
Ereignis öffnete sich die Tür der Zelle und ein Offizier befahl: „Päderast,
mitkommen!“ Der Mann stand auf, nahm ruhig seine Schüssel und den Löffel und
ging mit. In zwei Stunden war der Offizier wieder an der Tür. Er zeigte mit dem
Finger auf die Person, die uns Analverkehr vordemonstriert e: „Kommen sie mit.“
Die Tür wurde wieder geschlossen. In der Zelle herrschte zuerst eine Totstille.
Dann sagte jemand leise: „Geschlechtsverkehr zwischen Männern wird laut dem sowjetischen
Strafgesetzbuch bis zu fünf oder acht Jahren Freiheitsentzug geahndet. Zudem werden
homosexuelle Personen anstelle von Gefängnisstrafen oft und auf unbestimmte
Zeit in psychiatrischen Kliniken untergebracht und zu einer medizinischen und
psychotherapeutischen Behandlung gezwungen.“
Ich wollte nichts mehr hören, legte mich hin
und zog die Decke über den Kopf. Ich konnte meine Tränen nicht halten.
Sexualität war für mich heilig, um gemäß dem Hohelied Freude an ihr zu empfinden
und die Fortpflanzung zu sichern. Sicher haben wir Studierende in der
Vergangenheit über die Sexualität ausführlich diskutiert, aber was ich nun
erlebte, empfand ich als eine Pervertierung des Lustempfindens. Wohl bemerkt,
ich war derzeit zwanzig Jahre alt.
Ich erzählte den Zellengenossen: „Noch als
Teenager sahen mein Onkel Gustav und ich, wie ein Mann es mit einem sibirischen
Pony getrieben hatte. Mein Onkel war für den Pferdestall der Kollektivwirtschaft
zuständig und machte sich mit der Gabel hinter den Mann her. Dieser lief davon
und versteckte sich im Wald und schämte sich, zurück zu seiner Familie und Frau
zu kehren. Mein Onkel sagte damals zu mir: „Erzähl es niemand. Er hat vier
Kinder. In unserem Land wird Sodomie mit Freiheitsentzug geahndet. Schade, wenn
seine Kinder darunter leiden müssten. Ich spreche aber mit seiner Frau.“ Mein
kluger Onkel sprach lange mit der Frau des Täters und bewegte sie, ihren Mann
aufzusuchen. Sie muss ihn gefunden, gesprochen und alles mit ihm geklärt haben,
weil die Familie erhalten blieb und in späteren Zeiten Christen wurden. Die
Pflicht des Onkels wäre gewesen, den Mann anzuzeigen, aber seine christliche
Nächstenliebe und die Empfindung der Barmherzigkeit überwogen, wie er mir
erklärte. Ich schwieg wie ein Fisch“, mit diesem Satz schloss ich den Bericht
ab. Ich sah auf die Häftlinge. Sie waren sehr nachdenklich und reagierten
nicht.
Die darauf folgende Nacht schlief ich sehr
unruhig. Ich schlief kurz ein, wurde von Albträumen geplagt und wachte wieder
auf. Mein Hirn spielte verrückt. Ich dachte und dachte über alles nach und fand
keine Antworten. Dient Sexualität nur, um Lustgewinn zu erzielen, war die
primäre Frage. Meine Beobachtungen zeigten, dass die zwanghafte
Selbstbefriedigung unter Studierenden zum Kontrollverlust, Machtlosigkeit und
Besessenheit von der Sucht führte. Ein Studierender wurde deswegen von unserer
Lehranstalt in die Psychiatrie eingewiesen. Auch der erotische Fetischismus kam
unter Studierenden vor. Man entdeckte eines Tages bei einem jungen Mann einen Büstenhalter,
den er für Stimulation bei Selbstbefriedigung nutzte. Er wurde ohne Widerrede exmatrikuliert.
Unsere kommunistischen Pädagogen sahen in solchen Handlungen starke psychische
Störungen. Sie kamen ins „Irrenhaus“, wie damals unter uns die Nervenanstalten
genannt wurden.
Die exhibitionistische Handlung der beiden Zellengenossen
war ekelhaft für mich. Noch nie erlebte ich so was. Ich kam mehr oder minder
aus einer geschützten Umwelt und fand in der klassischen Literatur niemals
Berichte über solche Handlungen. Man kann doch alles relativieren und dann ist
Sexualität doch nur eine Wegwerfware, resümierte ich.
Da in der Zelle die ganze Nacht das Licht
brennt, stand ich gegen morgens auf und ging zum Eimer mit Wasser, füllte
meinen Aluminiumbecher und wusch mein Gesicht. Der Tag verlief ruhig. In der
Ecke wurden Karten gespielt, was strickt verboten war. Häftlinge spielten, um
Gewinne zu erzielen, und wer nicht zahlen konnte, wurde vergewaltigt. Die Administration wollte diese Brutalität
vorbeugen und verbot solche und ähnliche Spiele. Währenddessen unterhielt ich mich
mit dem alten Kasachen, der viel von meiner Glaubenserfahrung wissen wollte. Er
verwendete zwar den Begriff „Allah“, aber wohl eher als Fremdwort.